Wie macht ein Schwarztee im Himalaya Karriere?

Falls Sie zu den Menschen gehören, die von Tibet-Tee bisher noch nie etwas gehört haben, trösten Sie sich. Sie sind nicht alleine, weder in Europa noch in Deutschland. Wir möchten den Zustand für alle Teeliebhaber ändern. Also wecken wir diese wunderbare Schwarztee-Spezialität aus dem Reich der Mitte aus ihrem „Dornröschenschlaf“ und verschaffen ihr einen Stammplatz in den Teeregalen des Landes.

Dass unter den 6 Millionen Tibetern heute jedes Kind den Tibet-Tee kennt kommt nicht von ungefähr. Schließlich wurde der Tee auch nicht so mir nichts dir nichts zum tibetischen Nationalgetränk. Sein Aufstieg verdankt er vielmehr einer fast 1400 Jahre andauernden Erfolgsgeschichte. Die Karriere des fermentierten Tees begann so, wie die meisten Erzählungen hoch in den Bergen an prasselnden Feuern oft beginnen: mit einem Zufall.

« Die Karriere des fermentierten Tees begann so, wie die meisten Erzählungen hoch in den Bergen an prasselnden Feuern oft beginnen: mit einem Zufall. » 

Vom Brautgeschenk zum Nationalgetränk.

Weshalb und warum um die Jahre 640/41 ausgerechnet handverlesene grüne Teeblätter aus dem Gebiet um Yunnan als Brautgeschenk der Prinzessin Weng Chin auf die Reise ins ferne Tibet gingen, findet sich wenig historisch Aufklärendes. Sollte womöglich Songtsan Campu, der Thronerbe des tibetischen Königshauses, seine zukünftige Frau aus dem Reich der Mitte in entspannter Atmosphäre beim Genuss einer Tasse verführerisch gut schmeckenden Tees näher kennenlernen? Niemand weiß es. Sicher dagegen ist, dass die sechsmonatige Anreise allen Beteiligten ziemlich zusetzte. Schließlich führte der Weg Mensch, Tier und vollbeladene Lastkarren über staubige Straßen, menschenleere Wüsten und glitschig feuchte, oft noch schneebedeckte Bergpfade von Zentralchina in das fast 3000 km entfernte Königreich im Himalaya.

Tee liebt stabile Verhältnisse.

Das war auch vor 1400 Jahren so. Denn Tee ist ein Naturprodukt. Damals wie heute verlangten herausragende Qualitäten beste Teebäume oder Sträucher in exponierten Lagen. Auch früher bedurfte es vor und nach der Lese der feinen Teeblätter oder der empfindsamen Blüten den Künsten erfahrener Teemeister. Von Tradition, Erfahrung und handwerklichem Können geleitet schufen sie jene Magie, die im idealen Miteinander von Blatt, Temperatur, Feuchtigkeit, Zeit und Lagerung auch unseren heutigen Tees innewohnt.

Unter den angezeigten Reisebedingungen grenzt es an ein Wunder, dass Songtsan Campu sowohl von der Braut als auch vom mitgebrachten Tee begeistert war. Denn erstens heirateten die Prinzessin und der König tatsächlich. Zweitens wurde der Tee oder das, was während der Reise daraus wurde, zum neuen Statussymbol des Königshauses. Der Genuss dieses so speziell fermentierten Schwarztees war über Jahrhunderte in Tibet ein Privileg einzig des Königs und seiner Familie.

Das Wunder der Fermentierung.

Was war auf der langen Reise mit dem Tee geschehen, dass er so anders war? Zusammengepresst, unterschiedlichen Höhen, Feuchtigkeitsgraden und stark schwankenden Temperaturen ausgesetzt, begannen sich die Teeblätter intensiver als gewohnt zu verändern. Teeeigene Bakterien und Mikroorganismen taten ihr Übriges. Sie fermentierten die reifen Pflanzenblätter zu einer einzigartigen Schwarztee-Spezialität. In China selbst wird er aufgrund seiner rotgoldenen Färbung des Teeaufgusses auch als „roter Tee“ bezeichnet. Der europäische Name Schwarztee dagegen leitet sich aus der tiefschwarzen Farbe des getrockneten Teeblattes ab.

Vom Königsprivileg zum Volksgetränk.

Mitunter verlieren Privilegien über die Zeit zumindest für die, die sie innehaben, an Bedeutung. Sie „sozialisieren“ sich faktisch und praktisch. In dem Maße, wie der Teehandel aus dem Reich der Mitte Richtung Tibet zunahm, gelangten zuerst die Ober- und die Mittelschicht, später alle Tibeter, in den Genuss des wohlschmeckenden und gesunden Schwarztees. Mit Yak-Butter angereichert, diente Tee zunehmend als Nahrungsmittel, das mithalf, ein entbehrungsreiches Leben unterhalb des hochaufragenden Achttausender des Himalaya-Gebirges erträglich zu gestalten.

Die Tee-Pferde-Straße ein Abzweig der Seidenstraße.

Über gut 3000 Kilometer verband die alte Teestraße einst die Teehandelszentren im Reich der Mitte mit denen seiner Nachbarn. Mit dem Einbinden der Region Tibet in den aufblühenden Teehandel folgte das Kaiserreich nicht nur seinen damaligen Exportinteressen.

Tibet, selbst sehr arm, war bis dato kaum in der Lage, den Menschen die wichtigsten Dinge zum Überleben zu sichern, geschweige denn ins Land fließende Importe zu bezahlen. Die Tibeter jedoch züchteten ein rares Gut: kleine, kompakte und widerstandsfähige Pferde. Genügsame Arbeitstiere, die auch in harten Zeiten willig im kargen Hochland treu ihre Dienste verrichteten. Wendige, zähe Rösser, wie gemacht für die auf Expansion angelegte kaiserliche Armee im großen Reich. Genau das Richtige Handelsgut für findige Händler, die sich im Tausch „Tee gegen Pferd“ prächtige Geschäfte versprachen.

So führte bald eine Verzweigung nach Sichuan und erschloss diese weiter nördlich von Sichuan gelegene Provinz für den Handel. Diese als „Tee-Pferde-Straße“ bekannte Verbindung gilt als Initialzündung der wirtschaftlichen Entwicklung Tibets. In Richtung Tibet zogen nun über Generationen hinweg Karawanen mit bis zu 100 kg schweren Tee-Ziegeln aus Sichuan. Zurück in das Reich der Mitte exportierten Händler die wertvollen Tibet-Pferde, die in den chinesischen Feldzügen und Nachbarfehden der folgenden Jahrhunderte eine bedeutende Rolle innehatten.